der zwai-Kommentar

Die Pflegenden der Charité sind im unbefristeten Streik, die Charité sieht das problematisch und zwai-Redakteur HolBeu wird polemisch.

Warum auch nicht?

 „Die Charité – Universitätsmedizin Berlin ist seit drei Jahrhunderten bekannt für ihre Spitzenmedizin von Weltrang. Aus dieser Tradition leiten sich der historische Auftrag und die gesellschaftliche Verpflichtung ab, exzellente medizinische Forschung, zukunftsorientierte medizinische Lehre und innovative Krankenversorgung national wie international zu gestalten.“
Soweit die Präambel des Leitbilds der Charité.

Unter „Weltrang“ und „historischem Auftrag“ macht man's in Berlin halt nicht gern. Nun wird die Charité bestreikt. Die Pflegenden gehen nicht um des schnöden Mammons Willen auf die Straße; nein, sie prangern ihre seit Jahren unerträglicher werdenden Arbeitsbedingungen an. In Art, Umfang und Medienecho durchaus auch ein historisches Ereignis, zumindest für Deutschland. Doch da wäre die Charité dann doch lieber ein bescheidener Local Player: „Hier wird ein bundespolitisches Thema auf dem Rücken der Charité ausgetragen“, heißt es auf der Website der Krankenanstalt.

Doch worum geht’s hier eigentlich?

Tatsächlich geht es fast allen Krankenhäusern, ob Weltrang oder Kreisliga, seit Einführung der DRGs 2004 finanziell nicht gut. Das war durchaus politisch so gewollt. Ein – zumindest behauptetes – Überangebot an Krankenhäusern sollte letztlich durch den Markt bereinigt werden. Dieser neoliberale Gedanke wurde natürlich mit viel gesundheitspolitischem Tamtam verbrämt, hat aber bislang schon ganz gut funktioniert. Ausbleibende Investitionszuschüsse der Länder taten ihr Übriges. Viele Krankenhäuser mussten fusionieren, privatisieren, schließen, je nach Geschwindigkeit des Niedergangs.

Alle Kliniken stehen unter großem Druck. Was macht ein guter Betriebswirtschaftler, dem das Geld knapp wird? Das weiß ich nicht. Die Betriebswirtschaftler in den Krankenhäusern jedenfalls fanden reflexartig den größten Etatposten: Die Lohnkosten. Und davon geht in der Summe das Meiste an die größte Berufsgruppe, die Pflegenden. Also, denkt sich der Klinik-Manager, müssen wir die Summe der Pflegenden verringern. Da kommt es ganz gelegen, dass es in Deutschland keine verbindlichen Vorgaben zur Personalbemessung gibt. Um zu wissen, wo die Schmerzgrenze ist, muss man dahin gehen, wo es weh tut. Und es tut weh. Restrukturierungen, Leiharbeit, so genannte gemischtqualifizierte Teams (Euphemismus dafür, dass vermeintlich simple Tätigkeiten durch noch simpler bezahlte Hilfskräfte erledigt werden können) – all das konnte das Downsizing der Vollkraftstellen und die nachweisliche Arbeitsverdichtung nur mühsam kaschieren.

Für viele Pflegende ist Resignation die Lösung: Teilzeitarbeit, Familienpause, Flucht aus dem Beruf. Andere entscheiden sich für Organisation: Gewerkschaften und Berufsverbände. Die sahen die Entwicklung lange voraus, mahnten, forderten und erhoben schon früh die Stimme. Doch ein dünnes Stimmchen ist das, denn in ihnen sind nur knapp zehn Prozent der Pflegenden organisiert. Das reicht gerade für einen Platz am Katzentisch, wenn die Akteure und Profiteure des medizinisch-industriellen Komplexes Politik machen.

So bleibt vor Ort wenig anderes übrig als Vorgesetzte und Betriebsleitungen auf die Situation auf den Stationen und in den Funktionsbereichen immer wieder aufmerksam zu machen, drohende oder tatsächliche Patientengefährdungen und strukturelle Missstände zu melden. Die Gewerkschaft Ver.di hat einige ebenso eindrückliche wie unterm Strich folgenlose Beispiele aus der Universitätsmedizin Berlin in der Broschüre „Notruf Charité – Am Puls eines kollabierenden Systems“ veröffentlicht.

Ver.di, in Sachen Pflege in letzter Zeit vor allem durch die Ablehnung von Pflegekammern aufgefallen, ergreift nun die Initiative und organisiert neben der bundesweiten Protestaktion „162.000 fehlen“ diesen beispiellosen Streik an der symbolträchtigen Charité. Chapeau!

Damit hat Ver.di wohl nicht nur den Siedepunkt der miesen Stimmung abgepasst; der Streik reiht sich nahtlos sich in die Arbeitskämpfe der jüngsten Zeit ein. Lokführer, Erzieher, Postbedienstete und nun auch Pflegende: Für sie alle spielen Lohnerhöhungen hier nur eine untergeordnete Rolle. Vielmehr geht es um grundsätzliche Fragen von Arbeitsbedingungen, Arbeitnehmerrechten und Anerkennung.

Ver.di fordert einen Tarifvertrag mit einer verbindliche Quotenregelung für den Personalschlüssel von Pflegefachkräften, für Intensivstationen beispielsweise eine nurse-patient-ratio von 1:2.

Eine bundesweite Problematik wird hier pars pro toto ausgerechnet an einer Berliner Vorzeige-Klinik verhandelt. Insofern mag man die Offiziellen der Charité ja sogar verstehen, wenn sie nicht verstehen, warum gerade bei ihnen täglich 200 Operationen abgesagt werden müssen und sie jeder Streiktag nach eigenen Angaben 500.000 Euro - grob umgerechnet etwa 10 Pflege-Vollkräfte/Jahr - kostet. (Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte in zweiter Instanz allerdings kein Verständnis und hält den unbefristeten Streik für rechtlich zulässig und nicht unverhältnismäßig.).

Oh, und ja, der Vorstand der Charité spricht sich auch für mehr Personal in der Pflege aus, wenngleich nicht nach einer starren Quote. Aber leider sei der geforderte Betreuungsschlüssel nicht finanzierbar und überhaupt, in dieser Form ist er nirgends umgesetzt.

Chère Charité: Wer etwas nicht will, findet Gründe. Wer etwas will, findet Wege. Vielleicht hast du hier mal wieder einen historischen Auftrag.

(holbeu)

Quellen & Links im Forum:
http://forum.zwai.net/showthread.php?p=26327#post26327

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