Bedeutung und Aufgaben für die Fachpflege

Inhalt

Der Hirntod

Wann ist der Mensch tot?
Die Frage, wann der Mensch tot ist, ist wohl eine der schwierigsten Fragen der Neuzeit.
War es in der Vergangenheit so, dass der Mensch gestorben war, wenn er aufgehört hatte zu atmen und sein Kreislauf zum Erliegen gekommen war, so ist die Todesfeststellung im Zeitalter der modernen Intensivmedizin immer schwieriger geworden. Heute kann nahezu jedes Organ für einen mehr oder weniger langen Zeitraum künstlich ersetzt werden. Jedes, bis auf das Gehirn. Daraus ergibt sich die elementare Frage, was menschliches Leben ausmacht:
Ist es die Summe der Organe?
Oder ist das, was uns ausmacht, im Gehirn lokalisiert, ist also das "Ich", das Wesen des Menschen mehr als eine funktionierende biologische Einheit?

Das Sterben ist der letzte Abschnitt des Lebens.
Der sterbende Mensch ist ein lebender Mensch.
Es gibt nur einen Tod des Menschen.

Leben und Tod besagen Verschiedenes, je nachdem, ob von Lebewesen, Organen, Geweben oder Zellen die Rede ist. Das Lebewesen ist als Ganzheit mehr als die Summe seiner Körperfunktionen. Begrifflich bestimmen lässt sich der Tod des Menschen nur durch das Ende des Lebens. Der Mensch ist tot, wenn sein Wesensmerkmal, die einzigartige untrennbare individuelle körperlich-geistige Einheit unwiederbringlich zerstört ist (ANGSTWURM, 2000, 7-9).

Das Leben ist gekennzeichnet durch das Prinzip der Selbsterhaltung. Jede einzelne Zelle nimmt Nahrung auf, verstoffwechselt diese durch ihre Zellorgane und pflanzt sich fort. Die Selbsterhaltung besteht darin, dass sich diese Zellorgane in einem ständigen Kreislauf gegenseitig am Leben erhalten. Bei höher entwickelten Lebewesen schließen sich diese Zellen zu Organen zusammen, die sich innerhalb eines Organismus wiederum gegenseitig am Leben erhalten. Fällt eines dieser Organe aus und wird nicht schnell genug ersetzt, sterben unweigerlich alle anderen Organe ab, da sie die Aufgaben des ausgefallenen Organs nicht kompensieren können. Das Gehirn (welches komplexe Organ- und Körperfunktionen steuert) ist ein Organ und somit Teil dieser gegenseitigen Selbsterhaltung. Wenn es zugrunde geht, hat dies ebenfalls den Gesamttod des Organismus zur Folge.

Kompliziert wird es, weil das Absterben ein sehr langsamer Prozess ist. Die verschiedenen Zellen kommen unterschiedlich lange ohne Sauerstoff aus, somit stirbt der Organismus nicht als Ganzheit plötzlich, sondern schleichend.

Ebenso können durch die Intensivmedizin zunehmend mehr Körperfunktionen aufrechterhalten werden. Gelingt es bei einem Ausfall des Gehirns, die Funktion des Atemzentrums zu ersetzten und sind alle anderen Organe intakt, dann kann im biologisch-physiologischen Sinne der Organismus eines Menschen, für eine gewisse Zeit, weiterleben (ROTH, 2000, 11-12).

Definition der Bundesärztekammer

"Mit dem Hirntod ist naturwissenschaftlich-medizinisch der Tod des Menschen festgestellt. Wird vom Arzt ein äußeres sicheres Zeichen des Todes festgestellt, so ist damit auch der Hirntod nachgewiesen." (DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 95, 1998)

Somit stellt die Bundesärztekammer als höchste medizinische Instanz klar, dass mit dem Hirntod der offizielle Tod des Menschen eingetreten ist.

"Der Hirntod wird definiert als Zustand der irreversibel erloschenen Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstammes. Dabei wird durch kontrollierte Beatmung die Herz- und Kreislauffunktion noch künstlich aufrechterhalten." (DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 95, 1998)

Hiermit werden zugleich alle früheren Spekulationen, die sich mit einem Teilhirntod - Konzept befasst haben, im Keim erstickt.

Die Bundesärztekammer hat nach §16 Abs. 1 des Transplantationsgesetzes vom 1. Dezember 1997 die Aufgabe, den jeweiligen Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Feststellung des Todes sowie des nicht behebbaren Ausfalls des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstammes in Richtlinien festzustellen. Dies sind verpflichtende Entscheidungsgrundlagen.

Stellungnahme der Kirchen

Die beiden größten deutschen Kirchen haben 1990 in einer Gemeinsamen Erklärung ihrer jeweils höchsten Gremien, der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und des Rates der Evangelischen Kirchen Deutschland (EKD), Stellung zum Thema Hirntod und Organspende bezogen.

"...Der Hirntod bedeutet ebenso wie der Herztod den Tod des Menschen. Mit dem Hirntod fehlt dem Menschen die unersetzbare und nicht wieder zu erlangende körperliche Grundlage für sein geistiges Dasein in dieser Welt. Der unter allen Lebewesen einzigartige menschliche Geist ist körperlich ausschließlich an das Gehirn gebunden. Ein hirntoter Mensch kann nie mehr eine Beobachtung oder Wahrnehmung machen, verarbeiten und beantworten, nie mehr einen Gedanken fassen, verfolgen und äußern, nie mehr eine Gefühlsregung empfinden und zeigen, nie mehr irgendetwas entscheiden.

Nach dem Hirntod fehlt dem Menschen zugleich die integrierende Tätigkeit des Gehirns für die Lebensfähigkeit des Organismus: die Steuerung aller anderen Organe und die Zusammenfassung ihrer Tätigkeit zur übergeordneten Einheit des selbständigen Lebewesens, das mehr und etwas qualitativ anderes ist als eine bloße Summe seiner Teile. Hirntod bedeutet also etwas entscheidend anderes als nur eine bleibende Bewusstlosigkeit, die allein noch nicht den Tod des Menschen ausmacht..." (DBK, EKD, 1990)

Es wird klar ausgesagt, dass mit dem Hirntod der Tod des Menschen eintritt und das dieser aus religiöser Sichtweise zu akzeptieren ist.
Die Kirchen äußern sich zum Thema Organspende positiv:

"...Vom christlichen Verständnis des Todes und vom Glauben an die Auferstehung der Toten kann auch die Organspende von Toten gewürdigt werden. Dass das irdische Leben eines Menschen unumkehrbar zu Ende ist, wird mit der Feststellung des Hirntodes zweifelsfrei erwiesen.

Eine Rückkehr zum Leben ist dann auch durch ärztliche Kunst nicht mehr möglich. Wenn die unaufhebbare Trennung vom irdischen Leben eingetreten ist, können funktionsfähige Organe dem Leib entnommen und anderen schwerkranken Menschen eingepflanzt werden, um deren Leben zu retten und ihnen zur Gesundung oder Verbesserung der Lebensqualität zu helfen.

So verständlich es auch sein mag, dass mancherlei gefühlsmäßige Vorbehalte gegen die Entnahme von Organen eines Hirntoten bestehen, so wissen wir doch, dass bei unserem Tod mit unserem Leib auch unsere körperlichen Organe alsbald zunichte werden. Nicht an der Unversehrtheit des Leichnams hängt die Erwartung der Auferstehung der Toten und des ewigen Lebens, sondern der Glaube vertraut darauf, dass der gnädige Gott aus dem Tod zum Leben auferweckt. Die respektvolle Achtung vor Gottes Schöpferwirken gebietet freilich, dass der Leichnam des Toten mit Pietät behandelt und würdig bestattet wird.

Die Ehrfurcht vor den Toten ist eine Urform der Sittlichkeit. In allen Kulturen zeigt sich die Haltung zum Leben auch in der Pietät vor den Toten. Die Beerdigungsliturgie weist darauf hin: "Dein Leib war Gottes Tempel. Der Herr schenke dir ewige Freude." So wird in Ehrfurcht Gott zurückgegeben, was er gegeben hatte, und der Zuversicht Ausdruck verliehen, dass allein Gott die Quelle des Lebens ist.

Zugleich kann in der Organspende noch über den Tod hinaus etwas spürbar werden von der "größeren Liebe" (Joh 15,13), zu der Jesus seine Jünger auffordert..." (DBK, EKD, 1990)


 

 



Entstehung der Todesdiagnostik

Die Auseinandersetzung mit dem Wesen und der Erscheinungsform des Todes ist seid je her in der Menschheitsgeschichte in allen Kulturen von zentraler Bedeutung.
Die alten Ägypter lebten nach einem kardiozentrischen Weltbild, alle Organe bis auf das Herz wurden nach dem Tod entfernt und der Leichnam mittels Einbalsamierung konserviert.

Hippokrates (460 - ? v. Chr.) verkörperte eine frühe Blütezeit der Medizin im klassischen Griechenland. Einige seiner ethischen Grundsätze gelten noch heute. Einen besonderen Stellenwert besaß die Prognose einer Erkrankung. Wurde diese als infaust angesehen, wurde die ärztliche Tätigkeit beendet. Die Feststellung des Todes war dabei niemals ärztliche Aufgabe.

Platon (428 - 347 v. Chr.) sah in dem leiblichen Körper nur ein vorübergehendes Vehikel der unverwüstlichen Seele. Der Tod stellte nur eine Trennung von zeitweise verbundenen Elementen dar.

Aristoteles (384 - 322 n. Chr.) hingegen sagte, dass in der Person des Menschen der leibliche Körper und seine Seele integriert seien. Für ihn bedeutete der Herztod den Tod des Körpers und der Seele.

Galen von Pergamon (um 129 - ca. 199 n. Chr.) prägte in den folgenden eineinhalb Jahrtausenden entscheidend die Medizin. Er mythologisierte den Todesbegriff, indem er ihn mit Zuständen wie "Hysterie", "Asphyxie", "Koma" oder "Katalepsie" vermischte, ohne seiner Definition und Feststellung etwas Grundlegendes hinzuzufügen.

Bis in die Epoche der Aufklärung blieb die Feststellung des Todes vage; sie beschränkte sich, insbesondere in Kriegs- und Epidemiezeiten, auf einen mehr oder minder willkürlichen Ausschluss von "Lebenszeichen" wie Herzschlag, Atmung oder spontane Bewegung.

Mitte des 18. Jahrhunderts gelangen die ersten erfolgreichen mechanischen Wiederbelebungsversuche an Ertrunkenen, 1774 erfolgte die erste erfolgreiche Wiederbelebung mittels elektrischer Herzstimulation.
Gleichzeitig wurden elektrische Reizexperimente an Körpern und Gehirnen gerade Verstorbener möglich, diese zeigten als vermeintlichen Ausdruck "vitaler Kraft" postmortale Muskelzuckungen, womit das Dogma des Herzstillstandes als endgültiger Tod des Menschen in Frage gestellt wurde.

Die Angst vor einem lebendig begraben sein führte 1880 zu Erfindungen wie dem "Rettungsapparat für begrabene Scheintote".


594 Rettungswecker

Erst im 20. Jahrhundert wurde der Individualtod als irreversibler Stillstand von Kreislauf und Atmung definiert. Zugleich hat die Gerichtsmedizin die noch heute gültigen sicheren Todeszeichen (Totenflecken, Totenstarre und Fäulnis) festgelegt.


Ende der 1950er Jahre ist es mit der Entwicklung von Respiratoren möglich geworden, den Verlust der Fähigkeit zu atmen, längerfristig maschinell zu ersetzen. Mollaret und Goulon beschrieben 1959 erstmals einen Zustand "unterhalb des Komas", den sie "Coma depassé" nannten. Diese Patienten ließen trotz maschineller Beatmung und erhaltener Herztätigkeit keinerlei Lebenszeichen des Gehirnes erkennen. Der Zustand war irreversibel und führte zwangsläufig zum Herzstillstand. Im Laufe der Jahre tauchten immer mehr dieser Fälle auf. Es wurde die Frage gestellt, ob diese Patienten noch als lebend anzusehen waren und ob eine Weiterbehandlung noch einen Sinn ergäbe.

Das Ad Hoc Committee of the Harvard Medical School to Examine the Definition of Brain Death hat 1968 erstmals eine Beschreibung des Hirntod-kriteriums vorgelegt, in dem der Begriff "Coma depassé" präzisiert und mit dem Hirntod ein zusätzliches Todeskriterium eingeführt wurde.

Diese Definition gleicht bis auf wenige Ausnahmen bereits den heute gültigen verpflichtenden Entscheidungsgrundlagen zur Hirntoddiagnostik (SCHLAK, ROOSEN, 2001, 10-13).

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